Geburtstagsfeiern – Warum feiern Menschen ihren Ehrentag?
Der eigene Geburtstag ist ein Datum, das man einfach nicht ignorieren kann. Denn für nahestehende Personen ist es selbstverständlich, zum Geburtstag zu gratulieren. Und auch wenn alle Mitmenschen diesen Tag vergessen werden, bleibt der Prozess der Alterung dennoch bestehen.
Die „Idee des modernen Menschen“
Nach Ansicht von Philosoph und Wissenschaftler für Medien Stefan Heidenreich wird am eigenen Geburtstag die „Idee des modernen Menschen“ zelebriert.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Festlichkeiten unterstreicht dieser Tag die Individualität von Menschen im Kontext der Gesellschaft.
Allerdings war es für lange Zeit unvorstellbar, die alleinige Existenz von x-beliebigen Menschen so deutlich hervorzuheben. Zu diesem Thema veröffentlichte Heidenreich ein Buch, das unter anderem auf die Tradition von Geburtstagsfeiern in Mitteleuropa eingeht.
Der Grundgedanke ist schnell erklärt: Indem der Mensch das eigene individuelle Schicksal und damit den Wert der eigenen Geburt entdeckt, distanziert sich der Mensch im Gegenzug von weltlichen oder göttlichen Herrschern. Im Gegenzug nehmen Staatsapparate immer häufiger Einfluss auf die persönlichen Lebensdaten und verhelfen somit zu einem neuen Bewusstsein.
Anfänge im Römischen Reich
Heidenreich betont in diesem Zusammenhang, dass Menschen im Römischen Reich schon Geburtenregister zur Verwaltung einsetzten, um junge Männer für kriegerische Auseinandersetzungen einzusetzen oder Steuern einzutreiben.
Geburtstagsfeste bestimmten den Alltag zur damaligen Zeit ebenfalls. Jedoch feierten sich die Menschen bei den Geburtstagen längst nicht selbst. Stattdessen huldigten sie stellvertretend einem persönlichen Schutzgott und zelebrierten dadurch die himmlische Ordnung.
Der Mensch als Individuum
Die Anleihe bei den Göttern führte im Laufe der Zeit zu einer Aufwertung des Individuums. Die Kirche besann sich mit ihren Namenstagen und Heiligen ähnlicher Traditionen.
Wie die katholische Gesinnung nach der Reformation immer mehr an Bedeutung verlor, gerieten Geburtstagsfeiern nach Beendigung des Römischen Reichs ebenfalls in Vergessenheit.
Die meisten Adligen notierten zwar noch immer die Lebensdaten der Familie, um eine Erbfolge abzusichern. Doch größere Festlichkeiten bestimmten erst wieder im Zeitalter der Renaissance den Alltag. Es vollzog sich eine Zeit des Umbruchs, in welcher sich der Mensch vom Mittelalter bis zur Neuzeit immer mehr zum eigenständigen Individuum entwickelte.
Ein wichtiger Schritt war die Erfindung des Buchdrucks, der eine Verbreitung kritischer Schriften erlaubte. Zudem wandten sich immer mehr Maler einer Kunst zu, bei der Menschen mit ihren charakteristischen Gesichtszügen porträtiert wurden. Im Gegenzug geriet die katholische Kirche durch den Ablasshandel immer schwerer in Kritik. Infolge dieses Ablasshandels deklarierte die Kirche ihre eigenen gläubigen Seelen zu in Eigenregie handelnden Wesen, die nunmehr die Macht und Kraft besaßen, um sich von ihren eigenen Sünden freizukaufen. Schritte wie diese trugen dazu bei, dass die Idee vom Individuum immer stärker in den Fokus geriet.
Gängige Bräuche zum Geburtstag
Spätestens während der Religionskriege im 15. und 16. Jahrhundert begannen Menschen immer mehr damit, sich selbst zu feiern.
Heute belegen Schriften aus dem 17. Jahrhundert, dass sie Rituale pflegten, die heute gang und gäbe sind. Gäste bringen Geburtstagskindern Geschenke mit und erhalten dafür Speisen und Getränke. Immer mehr Gesten setzten sich durch, um anderen Menschen gegenüber eine persönliche und emotionale Bindung zu verdeutlichen.
So ist es heute beispielsweise üblich, günstige Geburtstagskarten an seine Mitmenschen zu überreichen oder zu übersenden. Es dauerte daraufhin ungefähr 400 Jahre an, bis sich die Tradition der Geburtstagsfeiern in allen sozialen Schichten durchsetzte. Anfangs zelebrierten ausschließlich der Adel und das Bürgertum dieses Fest. Nachdem diese Tradition im Zuge der Französischen Revolution zuerst abbrach, setzten sich im Gegenzug Ideen mit protestantisch-bildungsbürgerlichem Ideengut durch. Das gut gemeinte Gedicht war geboren.
Erst die Reichen, dann die Armen
Wie der spätere Schriftsteller Theodor Fontana im Schulalter reimte: „Lieber Vater, du bist kein Kater, sondern ein Mann, der nichts Fettes vertragen kann“, folgten immer mehr Ratgeber über das Thema, wie der Geburtstag ordentlich gehuldigt werden kann (Theodor Fontane Gedichte zum Geburtstag).
In diesen Schriften hieß es vermehrt, wie wichtig es sei, Bekannte und Freunde durch Geburtstagsgeschenke mit übertrieben hohem Wert nicht unnötig in Verlegenheit zu bringen.
Zahlreiche Arbeiter und Kleinbürger betrachteten die Festtage zu dieser Zeit noch immer als überteuertes und unnötiges „Tamtam der Bessergestellten“. Schließlich war der eigene Geburtstag für Menschen dieses Milieus bis ins späte 19. Jahrhundert hinein noch immer bedeutungslos.
Geburtstage als revolutionärer pädagogischer Ansatz
Jedoch sorgte die neue Pädagogik dafür, dass sich das Fest letztendlich auch in diesen Kreisen durchsetzte. Im Rahmen der Aufklärung betrachteten immer mehr Erzieher und Philosophen Kinder als schützenswerte Individuen, deren Hineinwachsen in die große weite Welt sie behutsam begleiten möchten. Geburtstage avancierten zu einem bedeutungsträchtigen symbolischen Datum der kindlichen Entwicklung, so dass diese Feste in Kindergärten und bei anderen Bildungsinstitutionen immer häufiger zelebriert wurden.
Der Druck auf Skeptiker erhöhte sich. Es dauerte nicht mehr lange, bis auch Erwachsene die vermeintlich kindlichen Rituale in ihren eigenen Alltag übernahmen. Eine andere Perspektive weist allerdings auch auf die Bedeutung des eigenen Geburtstags hin. Kein anderes Datum gibt so deutlich zu verstehen, wie ein Menschenleben verstreicht. Deshalb ist der eigene Geburtstag nicht nur ein Grund zum Feiern, sondern auch eine Art Abwehr-Ritual. Erinnerungen an die Endlichkeit des eigenen Lebens sind möglicherweise auch nur mit einem Fest erträglich.