Arbeit 4.0 – Schmaler Grat zwischen Mehrbelastung und mehr Gerechtigkeit
Im Mai entschied der europäische Gerichtshof, dass Arbeitgeber in der EU die Arbeitszeit Ihrer Mitarbeiter vollständig erfassen müssen. Bislang galt eine Dokumentationspflicht nur für Überstunden, obwohl auch nach der bisherigen Regelung eine Dokumentation der Arbeitszeit nicht selten bereits stattfand, um dieser Regelung entsprechen zu können. Somit bedeutet das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vor allem auch einen zu erwartenden Anstieg der Nutzung präziser digitaler Arbeitszeiterfassung.
Der Deutsche Arbeitgeberverband (BDA) warnte in einer Stellungnahme jedoch, die Wiedereinführung der Stechuhr entspreche nicht den Anforderungen der modernen Wirtschaft. Im Gegensatz dazu ist die Rückmeldung auf die Entscheidung von Arbeitnehmervertretungen eher positiv. So äußert sich die Ärztevertretung Marburger Bund hoffnungsvoll im Hinblick auf die nun in Aussicht gestellte verlässlichere Erfassung und damit Einhaltung der Arbeitszeiten von Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern. Die Möglichkeiten und Chancen einer weitreichenderen Digitalisierung innerhalb von Unternehmen rücken damit in jedem Fall wieder stärker in den Fokus.
Was ist Arbeit 4.0?
Dem allgemeinen Trend der Versionsummerierung verschiedener Lebensbereiche kann sich auch der Begriff der Arbeit nicht entziehen. In der historischen Entwicklung der Arbeitsmodelle wird als Arbeit 1.0 das System definiert, das sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts bei der Bildung der Industriegesellschaft und der Arbeiterbewegungen zeigte. Darauf folgte Arbeit 2.0 im Zusammenhang mit der Massenproduktion und dem Wohlfahrtstaat Ende des 19. Jahrhunderts und Arbeit 3.0 im Kontext der Ausbildung des Sozialstaats und der zunehmenden Etablierung von Arbeitnehmerrechten. Schließlich soll Arbeit 4.0 den aktuellen Schritt hin zu einer digitalisierten Arbeitswelt beschreiben, die auch in der Industrie 4.0 eine maßgebliche Rolle spielt. Dabei rückt Nachhaltigkeit auch im Arbeitnehmersinne stärker in den Fokus, wie sich in dem jüngsten Entschluss zur Arbeitszeiterfassung durch den EUGH zeigt.
Chancen der Digitalisierung
Digitalisierung kommt in diesem Fall somit erkennbar dem Arbeitnehmer zugute, indem seine Leistungen eindeutig quantifiziert werden. Angemessene Vergütung, Planungssicherheit und in Folge verbesserte Work-Life Balance sind die in Aussicht stehenden Potentiale dieser Entwicklung. Doch auch für Unternehmen birgt dieser Zwang zur Dokumentation die Gelegenheit, weitreichendere Digitalisierungen interner Abläufe im gleichen Zuge umzusetzen. Längst gibt es umfassende Systemlösungen zur Planung, Koordination und Ad-Hoc Steuerung interner Prozessabläufe, die gerade in großen Unternehmen zu mehr Transparenz und Effizienz beitragen können.
Risiken der Digitalisierung
Zunehmende Digitalisierung kann sich aber auch negativ auswirken. Zwar können Freiheiten dank flexibler Zeiterfassungen gezielt geschaffen und bspw. Heimarbeit ermöglicht werden. Doch Datenerfassung kann immer auch mehr Leistungsdruck bedeuten, wenn objektive Leistungsmarker zu jedem Arbeitsschritt erhoben werden. In einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu den Auswirkungen der Digitalisierung aus Beschäftigtensicht gaben rund die Hälfte aller Befragten an, eine Zunahme der Belastung wahrzunehmen. Nur jeder Zehnte empfand die Digitalisierung als persönliche Entlastung. Das jüngste Gerichtsurteil zur Zeiterfassung könnte hier bereits entschärfend wirken. Doch auch Datenschutzinteressen müssen weiterhin Berücksichtigung finden und der Grad der Digitalisierung entsprechend angepasst werden. Zur Abwägung und Adressierung verschiedener Problembereiche der Arbeit 4.0 hat das Bundesamt für Arbeit und Soziales unter Führung von Andrea Nahles ein Weissbuch zum Thema entwickelt, das den gesellschaftlichen und politischen Prozess der Diskussion des Übergangs zur Digitalisierung der Arbeit abzubilden versucht.