Titanic – Werden die Kameras bald abgestellt?
Die Titanic ist das berühmteste Schiffswrack weltweit. Nun möchte ein Unternehmen ein wertvolles Funkgerät daraus bergen. Doch Experten äußern sich kritisch. Ihr Argument: Der Tauchroboter könnte auf Überreste der ertrunkenen Opfer stoßen.
Abgelenkte Funker
Harold Bride und Jack Philips wurde am Abend des 14. April 1912 eine besondere Ehre zuteil.
An diesem Abend durften die Mitarbeiter der R.M.S. Titanic den mit großem Abstand leistungsstärksten Funktelegrafen weltweit bedienen.
Dieses Gerät war ein hochmoderner Löschfunksender des Unternehmens Marconi International Marine Communication Co. Der besondere Reiz bestand für die Funker darin, Botschaften wohlhabender Amerikaner und Briten zu lesen.
Wettermeldungen wurden unabsichtlich ignoriert
Der Umgang mit dem Funktelegrafen war zwar ein relativ teurer, aber auch sehr beliebter Spaß an Bord der Titanic. Wer ein privates Telegramm mit zehn Wörtern übersenden wollte, musste als Passagier zwölf Schilling bezahlen. Dieser Geldbetrag würde heute in etwa 250 Euro entsprechen.
An diesem besagten Abend waren Philips und Bride so sehr in ihre Arbeit vertieft, dass sie die auf dem Gerät übermittelten Wettermeldungen anfangs komplett ignorierten. Das Schicksal der Titanic war vorprogrammiert. Erst viel zu spät registrierte Kapitän Edward John Smith alle acht Eisbergwarnungen, die an diesem Abend eingingen.
Verzweifelte Hilferufe
Um Punkt 0.10 Uhr des 15. April 1912 hämmerte Jack Philips erstmals verzweifelt auf dem Funktelegrafen.
Er betätigte die Morsetaste des Marconi Funktelegrafen mit der Botschaft „41 Grad, 46’N 50 Grad 14’W“, mit welcher der Funkexperte dringend um Hilfe bat.
Über nahezu zwei Stunden hinweg funkten Phillips und dessen Kollege Bride ihren Notruf immer wieder aufs Neue. Als das Wasser in ihrem Raum gelangte, fiel der Strom endgültig aus. Das tragische Schicksal der Titanic war besiegelt.
Neue Pläne zur Bergung des Funkgeräts
Nun beabsichtigen Taucher des Unternehmens RMS Titanic Inc., das besagte Funkgerät aus dem Schiffswrack zu bergen. Bis heute liegen die Überreste des Schiffs in einer Tiefe von 3.800 Metern etwa 645 Kilometer südöstlich von Neufundland.
Im Mai 2020 erhielten die Taucher sogar die öffentliche Erlaubnis für diesen Tauchgang. Diese Erlaubnis erteilte Richterin Rebecca Beach Smith, die für das Bezirksgericht Norfolk im US-amerikanischen Bundesstaat Virginia tätig ist. Mit der Bergung möchten die Taucher einen bestimmten Zweck verfolgen. Damit soll nicht nur „an den unauslöschlichen Verlust der Titanic“ erinnert werden. Zugleich gilt dieser Tauchgang als Hommage an alle Passagiere des Unglücksschiffs.
Einwände durch die US-amerikanische Regierung
Allerdings dauerte es nicht lange, bis die US-Regierung gegen die Entscheidung erste Einwände erhob. Staatsanwälte interpretierten den beabsichtigten Tauchgang als Verletzung des Abkommens, das zwischen Großbritannien und den USA zum Schutz des Wracks geschlossen wurde.
Zugleich bemängelten die Staatsanwälte, dass der Status der Titanic als Erinnerungsstätte durch diese Maßnahme angegriffen werden würde.
Ein renommiertes Unternehmen im Umgang mit der Titanic
Dieses Vorhaben wäre nicht der erste Tauchgang, den RMS Titanic Inc. unternimmt. Bereits seit der Mitte der 1990er Jahre hat das Unternehmen das ausschließliche Bergungs- und Eigentumsrecht an dem Wrack inne. Allerdings muss jeder neue Tauchgang auch juristisch genehmigt werden.
Mittlerweile bargen zu der Firma gehörige Taucher mehr als 5.500 Objekte, die heute zum Teil sogar im Luxor Hotel & Casino in Las Vegas ausgestellt sind.
Unter diesen Exponaten befinden sich Besteck, Geschirr, Schuhe sowie Handschuhe der Passagiere. Diese Entdeckungen machten die Taucher allerdings nicht im Inneren des Schiffs, sondern auf dem Deck und in direkter Umgebung des Wracks.
Schon im Jahr 2000 wurde Anträge abgelehnt, um in das Innere des Schiffs zu gelangen und dort nach Diamanten der Passagiere zu suchen. Auf dem Weg dorthin sollen die Tauchroboter über einen Lichtschacht in die Innenräume vordringen oder sich den Weg durch die stark verrostete Decke bahnen. Mit Greifarmen und einem Saugbagger ausgestattet, könnte der Roboter bis zum Funkraum gelangen und daraufhin den Telegrafen bergen.
Wird die Totenruhe einstiger Passagiere gestört?
Eine wichtige Komponente für die Erlaubnis ist letztendlich vermutlich auch die Frage, inwiefern die Bergung die Totenruhe der über 1.500 Besatzungsmitglieder und Passagiere stören würde. Laut Informationen der RMS Titanic Inc. wurden auf den bisherigen rund 200 Tauchgängen noch nicht einmal Tote gefunden.
Vermutlich haben Fische und andere Meerestiere alle Überreste längst verzehrt. Aufgrund des hohen Salzgehalts des Wassers wären auch alle Knochen längst aufgelöst.
Ein ungeschriebenes Gesetz
Ein Berater der Firma verweist zudem auf ein ungeschriebenes Gesetz, demzufolge die Kameras beim Aufeinandertreffen auf menschliche Überreste sofort abgestellt werden würden. Andere Experten widersprechen der Verwesungstheorie. So verweist David Conlin als Direktor des Submerged Resources Center des National Park Service auf ein Gutachten, nach dem das kalte sauerstoffarme Atlantik-Wasser optimale Voraussetzungen für einen Erhalt organischen Materials verspricht.
Der Wissenschaftler betont in diesem Zusammenhang, dass Forscher schon auf zahlreichen älteren Wracks menschliche Überreste fanden.
Ein Beispiel ist das konföderierte U-Boot H.L. Hunley, das bereits im Jahr 1864 sank und auf dem Taucher mehrere gut erhaltene Seeleute fanden.
Befinden sich noch menschliche Überreste auf der Titanic?
Diesen Standpunkt vertritt ebenfalls der deutsche Unterwasserarchäologe Florian Huber. Seiner Meinung nach ist es recht wahrscheinlich, dass sich heute noch immer menschliche Überreste auf der Titanic befinden. Allerdings betont der Unterwasserspezialist, dass die Tauchgänge aus ethischer Sicht dann vertretbar wären, falls wissenschaftliches Interesse besteht. Einfache Unternehmungen aus rein kommerzieller Sicht sind jedoch moralisch nicht vertretbar. Eine endgültige Entscheidung trifft möglicherweise das vierte Berufungsgericht in Richmond, das sich aktuell mit der Angelegenheit beschäftigt.
Übrigens war Funker Jack Phillips eines der rund 1.500 Opfer, das auf der Titanic in der tragischen Nacht am 15. April 1912 sein Leben ließ. Dessen Kollege Harold Bride hatte mehr Glück. Nachdem der Passagierdampfer „Carpathia“ die Unglücksstelle zwei Stunden nach dem Untergang der Titanic erreichte, konnte die Crew insgesamt 705 Überlebende aus den Rettungsbooten bergen. Der 22-jährige Funker konnte sich auf ein kieloben treibendes Rettungsboot über das Dach der Offizierskabinen retten. Er musste lediglich Erfrierungen an seinen Füßen in Kauf nehmen.