Das klimatische Umdenken hat begonnen: Gibt es einen Grund zur Reisescham?
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Ein Umdenken macht sich in der Bevölkerung breit. Schließlich erweckt längst nicht mehr jedes Urlaubsfoto aus weiter Ferne die Reiselust. Während der eine beim Anblick mit Palmen gesäumter Sandstrände am liebsten seinen Koffer packen und in das nächste Flugzeug steigen würde, tritt bei dem anderen die sogenannte Flugscham ein. Das ist natürlich reine Ansichtssache.
Viele Flugreisende werden mittlerweile von einem schlechten Gewissen geplagt
Doch hat sich das schlechte Gewissen der Menschen tatsächlich nach unzähligen Klimadebatten und ersten deutlich spürbaren Auswirkungen des Klimawandels in den Köpfen manifestiert? Wandeln sich Fernreisen, Flugreisen oder Kreuzfahrten zu einer Form der Freizeitbeschäftigung, für die sich Reisende rechtfertigen müssen?
Diskussionen rund um das Thema CO2-Ausstoß stehen mittlerweile auf der Tagesordnung. Das sah vor einigen Jahren natürlich noch anders aus.
Ferienforscher bestätigen: Von einer allgemeinen Reisescham kann keine Rede sein
Dennoch betont Konsumpsychologe und Ferienforscher Martin Lohmann in diesem Zusammenhang, dass eine allgemeine Reisescham in den Köpfen der Menschen noch nicht Einzug gehalten hat. Allerdings macht sich eine Flugscham breit, wie der Ferienforscher feststellt. Lohmann ist in Kiel ebenfalls als Leiter des Instituts für Tourismusforschung in Nordeuropa, das NIT, tätig. Zum Aufgabengebiet des Psychologen gehört es deshalb, einmal im Jahr eine Reiseanalyse zu erstellen. Der letzten Reiseanalyse (Erste Ergebnisse der Reiseanalyse 2019) zufolge sprachen sich im November vergangenen Jahres rund drei Viertel aller Probanden dafür aus, als Flugreisende von einem mehr oder weniger ausgeprägten schlechten Gewissen aufgrund klimatischer Belastungen sowie des Treibhausgasausstoßes betroffen zu sein. Rund 27 Prozent aller Befragten betonten, auf Flugreisen keine Gewissensbisse zu haben. Dennoch lassen diese Resultate darauf schließen, dass sich ein Wertewandel vollzieht.
Flugscham ist demzufolge das Resultat innere Konflikte, aber nicht dessen Lösung. Auf der einen Seite möchten Menschen fremde Welten und Kulturen entdecken. Doch auf der anderen Seite möchte man vermeiden, das Klima negativ zu beeinflussen. Zu diesem Schluss kam der Psychologe, der an der Universität Lüneburg als Professor für Wirtschaftspsychologie agiert.
Vermutlich wird die Zahl an Flugreisen nicht eklatant abnehmen
Bei für 2020 getroffenen Reiseplänen ist trotz vermehrter Flugscham nicht damit zu rechnen, dass die Zahl an Flugreisen deutlich abnehmen wird. Allerdings erklären sich immer mehr Passagiere dazu bereit, Kompensationszahlungen für den verursachten CO2-Ausstoß zu leisten. Diesbezüglich verweist Kreuzfahrtspezialist und YouTuber aufgrund stetiger Klimadiskussionen auf eine veränderte Gesprächskultur, die sich in den Köpfen der Menschen breitmacht. Seiner Meinung nach sind die Zeiten vorbei, in denen Berichte über eigens erlebte Kreuzfahrten den Neid in anderen Menschen weckten.
Heute fühlen sich Menschen eher beschämt, wenn Sie die Kreuzfahrtdampfer für längere Reisen betreten. Deshalb ziehen es viele Weltenbummler mittlerweile vor, diese Reisen gegenüber anderen Menschen gar nicht erst zu thematisieren. Schließlich steht ein Kreuzfahrtschiff symbolisch für viele Dinge, die die Fridays for Future-Bewegung anprangert.
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Reedereien stehen vor besonderen Herausforderungen
Die Debatten um den Klimawandel gehen deshalb auch an Reedereien nicht spurlos vorüber. Viele Reedereien haben eine Erbauung neuer Schiffe längst in Auftrag gegeben – Antistimmung hin oder her. Deshalb versuchen Reedereien, das Problem auf ihre ganz eigene Weise zu lösen. Mittlerweile gibt es einige Schiffe, die wesentlich umweltfreundlicher mit verflüssigtem Erdgas unterwegs sind. Andere Anbieter sind bemüht, den CO2-Ausstoß zu kompensieren.
Jetzt erst recht: Viele Menschen reagieren trotzig
Und es vollzieht sich noch eine weitere Reaktion vieler Menschen. Sie trotzen schlichtweg. Denn viele Weltenbummler stellen sich die Frage, weshalb sie sich persönlich einschränken sollten, während Menschen anderer Länder oder bestimmter Branchen keinerlei klimaschützende Maßnahmen einleiten.
Für viele Menschen gehören der Kult um ein bestimmtes Fahrzeug oder regelmäßige Reisen einfach zum Lifestyle dazu. Diesen Männern und Frauen wird es gewiss sehr schwer fallen, auf diesen „Luxus“ zu verzichten. Über einen langen Zeitraum wurde der Postmaterialismus und damit der Lebensstil forciert, sein Geld in Erlebnisse anstatt in materielle Dinge zu investieren. Doch wenn das Reisen in Verruf gerät, stellt sich die Frage, wofür das Geld ausgegeben werden soll.
Ein Ende des Tourismus ist derzeit nicht in Sicht
Für Reiseforscher Lohmann ist nach aktuellem Stand der Dinge klar, dass ein Ende des Tourismus in naher Zukunft nicht in Sicht ist. Reisen verbinden viele positive Eigenschaften – vom Glück über neue Lernprozesse bis hin zu tollen Erfahrungen und viel Erholung. Reisen bescheren Erlebnisse, über die es sich auch nach vielen Jahren noch zu reden lohnt. Und wer die Reisen und touristische Aktivitäten etwas besonnener plant, wird sich gewiss auch in Zukunft diesem Hobby widmen.
An dem durch Reisen erhofften Prestigegewinn wird sich vermutlich auch zukünftig nichts ändern. Denn erfahrene Menschen genießen in unserer Gesellschaft schon immer ein hohes Ansehen. Diese Wertschätzung geht auch nicht verloren, wenn man bei den Reisen klimatische Aspekte nicht außen vor lässt.