Vollzieht sich in Deutschland ein Vogelsterben?
Die Zahlen klingen erschreckend. Während der letzten 30 Jahre ist die Menge an Vogelbrutpaaren allein am Bodensee um ein Viertel gesunken. Dieses Ergebnis präsentierte nun eine Studie, die Wissenschaftler des Max Planck-Instituts für Verhaltensbiologie sowie der Ornithologischen Arbeitsgruppe Bodensee erarbeiteten.
Während um 1980 noch ungefähr 465.000 Brutpaare zu Hause waren, hatte sich die Zahl bis 2019 schon auf 345.000 reduziert.
Bei diesen Vogelarten ist der Rückgang besonders eklatant
Wie in einem Beitrag der Zeitschrift „Vogelwelt“ betont wurde, ist der Rückgang bei häufigen Vogelarten wie Amseln, Staren oder dem Haussperling besonders eklatant. Die Untersuchungen am Bodensee stehen damit repräsentativ für eine Entwicklung, die sich am gesamten Bodensee vollzieht. In anderen Gebieten Deutschlands wurden ebenfalls verringerte Bestandszahlen vermerkt. Doch häufig sind die Zahlen nicht ganz so dramatisch wie am Bodensee. Generell sind die Entwicklungen in Süd- und Westdeutschland alarmierender als in Nord- und Ostdeutschland. Ein möglicher Grund für diese Tendenz könnte die intensivere Landwirtschaft in westlichen und südlichen Gefilden sein.
Heutige Agrargebiete sind häufig vogelfeindlich
Die Autoren der Langzeitstudie sind sich deshalb sicher, dass heutige Agrarlandschaften vogelfeindliches Terrain sind. Ein trauriges Beispiel ist der Rebhuhn-Bestand rund um den Bodensee. Dort ist die Vogelart mittlerweile komplett ausgestorben. Ähnliche Tendenzen zeichnen sich für Vogelarten wie Wiesenpieper, den Steinkauz und Raubwürger ab.
Den Vögeln mangelt es schlichtweg an Nahrung
Zur Datenerhebung nahmen die Forscher alle auf einer Fläche von 1.100 Quadratkilometern befindliche Vögel unter die Lupe. Im Vorfeld analysierten die Ornithologen die Bestände von 1980 bis 1981 sowie anschließend im Zehnjahres-Rhythmus. Einer der ausschlaggebenden Gründe für diese traurige Entwicklung ist ein stetiger Nahrungsverlust. So hat sich rund um den Bodensee besonders deutlich der Bestand der Vögel reduziert, die sich überwiegend von Fluginsekten ernähren.
Bei Vogelarten, die sich von Landwirbellosen ernähren, ist der Anteil mit 57 Prozent zwar etwas geringer. Dennoch ist durch diesen Wandel offensichtlich, dass das Insektensterben auch die Vogelwelt in Mitleidenschaft zieht.
Drastische Zahlen
Im europaweiten Vergleich reduzierte sich die Anzahl von Insekten lebender Vögel in den letzten 25 Jahren ebenfalls deutlich. Vom Wiesenpieper über die Bachstelze bis hin zur Rauchschwalbe – laut einer im Fachmagazin „Conservation Biology“ publizierten Studie reduzierte sich die Zahl der Vögel um 13 Prozent. Auswertungen von Daten des europaweit durchgeführten Vogelmonitoringprogramms PECBMS legen außerdem dar, dass sich europäische Bestände für Wiesen- und Feldvölge in Europa binnen 35 Jahren um über 57 Prozent reduziert haben. Diesen Vogelarten gehören beispielsweise Kiebitze, Feldlerchen oder Stare an.
Es sind keine Brutplätze vorhanden
Vielen dieser Vögel ist es schlichtweg unmöglich, auf von Menschen genutzten Gebieten noch immer Brutplätze oder Lebensräume zu finden. Tieren fällt es immer schwerer, erfolgreich in sauberen Nutzgärten, auf Zierbäumen oder inmitten von Häuserschluchten zu brüten. Die Lebensbedingungen für die Tiere verschlechtern sich drastisch. Diese Tendenz betrifft insbesondere Buchfinken, Rotkehlchen oder auch Amseln.
Der Anteil an Wintervögeln nimmt ebenfalls ab
Langzeituntersuchungen wie diese sind nur ein Teil beunruhigender Nachrichten, die die Bestandsentwicklung von heimischen Vögeln widerspiegeln. Ein weiteres trauriges Beispiel zeichnet sich beim Bestand von Wintervögeln ab, deren Anteil ebenfalls stetig abnimmt. Dennoch zeigt die Studie auch auf, dass der Artenverlust rund um den Bodensee je nach Lebensraum variiert. Einerseits sind die Tierbestände auf Feldern und Wiesen zwar drastisch eingebrochen. Doch im Gegenzug stieg der Artenreichtum im Wald lebender Vögel sogar auf 48 Prozent an. Ein wichtiges Beispiel für diese Tendenz ist der Buntspecht mit einem Zuwachs von ungefähr 84 Prozent. Außerdem stieg am Bodensee die Anzahl an Höckerschwänen deutlich an.
Das Vogelsterben begann schon lange Zeit vor den ersten Erhebungen
Diese Entwicklungen könnten darauf schließen lassen, dass seit 1980 bis 2012 ein ausgewogenes Verhältnis besteht. Dennoch warnen Biologen davor, massiv an Biodiversität zu verlieren. Bei vielen Vogelarten ist die Population mittlerweile so gering, dass diese oft nicht mehr überlebensfähig sind und an immer weniger Orten zu Hause sind. Pro Flächeneinheit existieren dadurch durchschnittlich weniger Vogelarten.
Insbesondere bei den zehn am häufigsten am Bodensee vorkommenden Vogelarten hat sich der Bestand bei sechs Gattungen drastisch reduziert. Im Gegensatz dazu hat der Anteil bei nur zwei dieser Vogelarten deutlich zugenommen. Laut Aussagen von Biologen sind diese Entwicklungen aber auch nur ein Teil dieses tragischen Wandels. Schließlich sollte man nicht außen vor lassen, dass der Rückgang der Vögel schon lange Zeit vor der ersten Datenerhebung im Jahr 1980 begonnen hat.