Ampelkoalition in Deutschland: Wo harmoniert es, wo hakt es?
Wenn man einen oberflächlichen Blick auf das Ampelkabinett in Deutschland wirft, scheinen alle beteiligten Politiker gut miteinander auszukommen. Bekräftigt wird diese Ansicht durch eine Aussage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der kürzlich auf n-tv erklärte, effektiv mit allen Ministerkollegen zu arbeiten und zum Teil sogar befreundet zu sein.
Keine Indizien für einen drohenden Kollaps?
Aktuell scheint nichts darauf hinzuweisen, dass die Ampelkoalition vor dem Kollaps steht, den im Sommer 2010 die Koalition aus FDP und Union erfuhr.
Damals eskalierte die Situation, als sich die Politiker gegenseitig als „Gurkentruppe“ oder „Wildsäue“ beschimpften.
Dennoch erscheint die aktuelle Lage unklar. Jegliche Entscheidung kann der einen Partei als Sieg, der anderen Partei zugleich als Niederlage angehaftet werden. Grund aktueller Streitthemen sind verschiedene Überzeugungen und Inhalte, welche die Parteien vertreten.
Ein Blick auf die größten bestehenden Konflikte verrät, wie konträr die Grünen sowie die FDP einige Themen betrachten und wie schwierig es ist, sich auf Kompromisse zu einigen.
Erstes Streitthema: Heizungen
Politische Auseinandersetzungen um Gebäudewärme ließen Debatten in jüngster Vergangenheit zunehmend eskalieren. Habeck warf der FDP vor, unfertige Gesetzesentwürfe mit Absicht durch Medien wie der Bild-Zeitung zur Schau zu stellen und die Gesetze eigentlich gar nicht verabschieden zu wollen. Es sei jedoch eine Lüge, das Ziel der Klimaneutralität überhaupt bis zum Jahr 2045 erreichen zu können, falls veraltete Gas- und Ölheizungen auch zukünftig durch fossile Heizungen ersetzt werden.
In dem Zusammenhang spricht die FDP von Technologieoffenheit und möchte den Weg zu Wärmeerzeugung durch Wasserstoff nicht „versperren“. Die SPD, die Grünen und die FDP sind sich darüber einig, betroffene Menschen mit dem Thema nicht zu überfordern.
Doch zu diesem Thema scheinen sich die Parteien überbieten zu wollen, indem sie sich selbst als besonders lebensnah präsentieren. Bereits jetzt ist davon auszugehen, dass Bürger mit wenig oder gar keinem Vermögen beim Einbau einer Wärmepumpe auf finanzielle Unterstützung hoffen dürfen. Diese Unterstützung soll unter anderem durch Klimatransformationsfonds gewährleistet werden.
Zweites Streitthema: Kinderwerbung
Wie Ernährungsminister Cem Özdemir zu verstehen gab, möchte der Politiker nach dem Vorbild anderer Länder Fernsehwerbung für ungesunde Nahrungsmittel zwischen 6 und 23 Uhr verbieten.
Diese Maßnahme soll dazu beitragen, Kinder effektiv vor Verlockungen der Nahrungsmittelindustrie zu schützen – insbesondere vor Süßigkeiten.
Diesem Plan widerspricht die FDP jedoch. Der Meinung dieser Partei zufolge erbringen pauschale Verbote nicht den gewünschten Erfolg.
Drittes Streitthema: Kindergrundsicherung
Weiterhin ist von der Kindergrundsicherung die Rede, die insbesondere die Grünen und die SPD forcieren. Dieser Plan sieht vor, staatliche Leistungen für Kinder zu bündeln und deren Beantragung deutlich zu vereinfachen.
Nach Ansicht der Politiker sollen bereits vorhandene Unterstützungsleistungen allen berechtigten Familien dabei helfen, effektiv gegen Kinderarmut vorzugehen. Allerdings würde die Kindergrundsicherung zusätzliche Kosten verursachen, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus mit mindestens zwölf Milliarden Euro ab 2025 beziffert. Demgegenüber steht jedoch das Bundesfinanzministerium, das nur maximal zwei Milliarden Euro investieren möchte. Laut Aussagen des Ministeriums würde bereits eine Anhebung des Kindergelds auf 250 Euro sowie eine Erhöhung von Kinderfreibeträgen insgesamt sieben Milliarden Euro verursachen.
An diesem Punkt möchte Paus ansetzen, um bedürftige Familien noch stärker zu unterstützen. Politiker schlagen vor, Kinderfreibeträge bei der Einkommensteuer herabzusetzen, da von dieser Regelung sowieso in erster Linie Gutverdiener profitieren. Derzeit ist jedoch noch unklar, ob sich die FDP mit der Regelung einverstanden erklärt. Schließlich hat es sich die Partei zum Ziel gesetzt, den Mittelstand zu entlasten.
Viertes Streitthema: Autobahnen
Am Thema Autobahnen scheiden sich derzeit ebenfalls die Geister. Die Grünen bestehen darauf, umweltfreundliche Verkehrsprojekte zu forcieren – so wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Diese Projekte beziehen sich in erster Linie auf eine Sanierung von Schienen sowie Brücken.
Die FDP vertritt jedoch die Ansicht, dass gelockerte Richtlinien in puncto Umweltschutz sowie Anwohnerbelastung ebenfalls berücksichtigt werden sollten.
Zudem sprach sich die FDP für einen Neubau von Autobahnen aus, da Stau ebenfalls hohe CO2-Emissionen verursacht.
Fünftes Streitthema: Verkehr
Der Verkehrssektor ist eines der Themengebiete, das besonders deutlich hinter den Richtlinien zur Reduzierung von Emissionen zurückbleibt. Hierfür machen die Grünen in erster Linie Bundesverkehrsminister Volker Wissing verantwortlich.
Derzeit gibt es noch keine genauen Vorstellungen zu der Frage, wie eine substanzielle Minimierung des CO2-Ausstoßes gelingen könne. Zwar würde die Einführung eines einheitlichen Tempolimits auf Deutschlands Autobahnen einen ersten Effekt bewirken. Doch dieser Regelung widersprechen die Liberalen. Sie bestehen stattdessen auf das Recht auf Geschwindigkeit, das im Koalitionsvertrag festgehalten ist.
Konträre Standpunkte
Eine andere Lösung ist gefragt. Doch der Ausbau der Ladeinfrastruktur kommt nur langsam voran. Zudem steht die FDP einer steuerlichen Förderung von E-Autos eher skeptisch gegenüber. Stattdessen betonen die Liberalen, dass im Koalitionsvertrag auch auf eine sektorübergreifende CO2-Bilanz verwiesen wird. Werden in einem Bereich größere Mengen an CO2 gespart, wäre alternativ eine Verrechnung mit anderen Sektoren möglich.
Diese Regelung ist den Grünen zu wenig. Die SPD betrachtet die Situation ebenfalls als kritisch.
Allerdings scheut sie sich davor, Normalverbraucher durch Gebühren finanziell zu belasten. Vor einigen Tagen forderte die Grünen-Fraktion Bundeskanzler Scholz dazu auf, den Druck auf Wissing bezüglich dieses Themas zu erhöhen.
Sechstes Streitthema: Haushalt
Würden hierzulande alle Vorhaben der Ministerien in die Tat umgesetzt werden, müsste Bundesfinanzminister Christian Lindner zusätzliche 40 Milliarden Euro zur Hand haben. Erschwerend kommt hinzu, dass ab diesem Jahr wieder die Schuldenbremse greift. Aufgrund der Konjunkturprognosen für 2023 und 2024 sieht Bundeswirtschaftsminister Habeck auch keine Basis, um die Schuldenregel erneut aussetzen zu können.
Zudem sind sich FDP-Politiker Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz über die Frage einig. Die Ministerien müssen auf Sparkurs gehen, da sich Habeck und Scholz zur FDP-Position bekannt haben. Zu diesem Thema kündigte Habeck an, Lindner Vorschläge unterbreiten zu wollen, um Subventionen zu streichen. Weil der FDP-Vorsitzende solche Streichungen jedoch ebenfalls als indirekte Steuererhöhung ansieht, dürften zukünftige Gespräche zwischen Lindner und Habeck vermutlich nicht zum erhofften Erfolg führen.
Siebtes Streitthema: Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Wie einigungsfähig die Ampelkoalition tatsächlich ist, bewiesen die Politiker in dieser Woche durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Schenkt man Informationen der Nachrichtenagentur Reuters Glauben, ist nach einer Ressortabstimmung nur noch die Einigung im Bundestag erforderlich. Hiermit soll erstmals ein Punktesystem für eine Gewinnung von qualifizierten Einwanderern verabschiedet werden.
Das Gesetz erlaubt es ebenfalls, dass Arbeitskräfte ohne spezielle Expertise in ausgewählten Branchen mit nachgewiesenem Bedarf auch unkompliziert im Ausland angeworben werden können.
Zudem ist eine Erweiterung der Regelung zur Anstellung von Menschen aus den Westbalkanstaaten geplant. Wird das Gesetz wie vorgesehen verabschiedet, könnten alljährlich maximal 50.000 Einwohner aus diesen Ländern eine Anstellung finden.
Achtes Streitthema: eFuels
Als Teil des sogenannten Green Deals möchte die Europäische Kommission eine Neuzulassung von Verbrennermotoren ab Mitte der 2030er Jahre verbieten. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag hatten sich die drei Parteien darauf geeinigt, dass Verbrennermotoren auch zukünftig zulässig sein sollen, falls diese mit klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen funktionieren.
Die Rede ist von sogenannten eFuels. Allerdings berücksichtigt eine speziell in Brüssel erarbeitete Richtlinie diese Regelung nicht. Die Grünen sind deshalb alles andere als begeistert, dass es Bundesverkehrsminister Volker Wissing gelang, die Mehrheit im Rat zu erhalten.
Politiker rund um Robert Habeck und Annalena Baerbock betonten ihre Sorge darüber, dass Deutschland den kompletten Green Deal gefährde, nur um einer eher wenig zukunftsträchtigen Technologie die Tür offenzuhalten.
Widerspruch unter den Ampelparteien
Die FDP verstehe hingegen nicht, weshalb sich Europa gegenüber einer Technologie versperrt, die möglicherweise dennoch eine Senkung der CO2-Emissionen begünstigt – insbesondere hinsichtlich einer europäischen Bestandsflotte, die sich zunehmend aus Verbrenner-Pkw zusammensetzt.
Mittlerweile sprachen sich die SPD sowie Umweltschutzministerin Steffi Lemke für Wissings Standpunkt aus. Die Politiker verwiesen hierbei in erster Linie auf den Koalitionsvertrag.