Schneechaos in den Alpen: die Hintergründe
Kaum hat das neue Jahr begonnen, bricht das Wetter schon wieder Rekorde. An den Jahrhundertsommer 2018 schließt sich nun ein Rekordwinter an, so scheint es. Die Bilanz ist erschreckend: riesige Mengen an Neuschnee erreichen historische Schneehöhen. Immer wieder tauchen Berichte über Menschen auf, die in den Lawinen den Tod fanden. Doch wann ist ein Ende des winterlichen Treibens in Sicht?
Extreme Wetterlagen in vielen Höhenlagen
Ist für passionierte Skifahrer jeder Zentimeter an Neuschnee ein Segen, waren andere Regionen durch die Schneemassen gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten. Die Folgen waren unausweichlich. Viele Schulen mussten geschlossen werden. Der Flug- und Bahnverkehr blieb im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke. Gebäude drohten unter den Schneemassen zusammenzubrechen. Ein Paradebeispiel war Balderschwang im Allgäu, in dem die Schneelast sogar in den Wellnessbereich eines Hotels vordrang. Allerdings steht dieses Szenario den Aussagen vieler Klimaforscher gegenüber, dass sich schneereiche Winter mehr und mehr vom Bildschirm verabschieden.
Meteorologen betonen: extremer Winter und Klimaerwärmung schließen sich nicht aus
Allerdings betont Klimaforscher Prof. Dr. Harald Kunstmann in diesem Zusammenhang, dass diese Wetterlage die Behauptung nicht ausschließt. Der Lehrstuhlinhaber für Regionales Klima und Hydrologie gab zu verstehen, dass die extremen Schneemengen aus einer langanhaltenden Nord-Lage resultieren. Da sich über Skandinavien ein Tiefdruckgebiet und über den britischen Inseln ein Hochdruckgebiet aufgebaut hatte, gelangte der Wind aus nördlichen Polarregionen in Richtung Alpen. Dadurch bauten sich kalte und feuchte Luftmassen auf, die sich am nördlichen Alpenrand stauten, eine weitere Abkühlung einleiteten und letztendlich in Schneefälle übergingen. In dieser Konstellation befand sich die Wetterlage nahezu zwei Wochen an demselben Standort.
Was ist der Gebirgseffekt?
Laut Aussagen vom Deutschen Wetterdienst ist hierbei vom sogenannten Gebirgseffekt die Rede. Damit sich an einem Gebirge sogenannte Luv- und Lee-Effekte einstellen, müssen die Berge hoch und breit genug sein, um ein Überströmen zu ermöglichen. Dementsprechend muss die Luft auf der angeströmten Gebirgsseite ansteigen, um auf der der Strömung abgewandten Seite wieder zu fallen. Hierbei reden Klimaexperten von einer auf der Luvseite entstandenen „erzwungenen Hebung“, die automatisch zu einer Abkühlung führt. Waren die Luftmassen bis dahin noch zu warm für die Bildung von Schnee, tritt nunmehr Niederschlag ein.
Niederschlagsrekorde an mehreren Wetterstationen
Bereits vor einigen Tagen vermeldete der DWD an sechs Wetterstationen in Ortschaften wie Reit im Winkl historische Niederschlagsrekorde. Doch nicht nur die Niederschlagsmengen erreichten neue Maximalwerte. Zugleich vermeldeten Meteorologen Schneehöhenrekorde. Einer der Spitzenreiter war die Stadt Oberhaching, in der die Schneehöhe 58 Zentimeter erreichte. Bislang belief sich der Rekord aus dem Jahre 1942 auf 56 Zentimeter. Diese Aneinanderreihung von Rekorden zeichnet den Winter 2018/2019 schon jetzt als Jahreszeit der Superlative aus. Dennoch ist ein alpenweiter Vergleich schwierig. Beispielsweise sind erste Messungen in einigen Regionen des Berchtesgadener Lands erstmals 2004 erfolgt. In einigen Gebieten Österreichs wurden die Daten sogar schon im 19. Jahrhundert aufgezeichnet. Außerdem dürfe der weitere Verlauf des diesjährigen Winters natürlich nicht außer Acht gelassen werden. So wurden beispielsweise für den Osterfelder in Garmisch-Partenkirchen schon neue Schneehöhenrekorde im Januar gemeldet. Allerdings ist die maximale Schneehöhe in dem Gebiet oft erst im Februar erreicht. Deshalb ist es noch viel zu früh für eine endgültige Einschätzung des Winters.
Schnee fällt zumeist nur regional
Außerdem dürfe man nicht unterschätzen, dass Schnee zumeist nur bestimmte Gebiete trifft. Die Menge des Niederschlags hängt in erster Linie davon ab, wo sich die Luftmassen bewegen und welche Temperaturverhältnisse zu diesem Zeitpunkt bestehen. Durch diese Faktoren gelten Schneeverwehungen und Schneefall als Wetterphänomen, dessen Stärke und Häufigkeit von Region zu Region deutlich variieren kann. Doch auch in Anbetracht dieser Umstände sind die derzeitigen winterlichen Werte außergewöhnlich. Allein in Tirol treten derartige Bedingungen statistisch nur einmal in 100 Jahren auf. Ähnlich außergewöhnlich sind die Schneerekorde für Gebiete wie Tirol oder Garmisch-Partenkirchen. Ebenso ist es mit der Anzahl an Lawinen-Toten. Orientiert man sich an den derzeitigen Zahlen des östereichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit, sind seit November insgesamt elf Menschen durch Lawinen ums Leben gekommen. Damit ist dieser Anteil ungefähr doppelt so hoch wie der langjährige Durchschnitt. In Deutschland wurden ebenfalls durch die Schneemassen bedingte Todesfälle gemeldet. Beispielsweise konnte im Berchtesgadener Land eine 20-jährige Frau einer Schneelawine nicht mehr entrinnen.
Der Winter entspricht dem derzeitigen Klimaverständnis
Schenkt man Aussagen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung – dem PIK – Glauben, könnte durchaus ein Zusammenhang zwischen Klimawandel und dem Wetterextremum bestehen. Dieser Winter würde zwar dem aktuellen Klimaverständnis entsprechen. Dennoch kann von einem einzelnen Winter nicht auf den Klimawandel geschlossen werden. Diese Schlussfolgerung wäre erst durch langfristige Beobachtungen möglich.
Die Wetterextreme werden sich vermehren
Wesentlich sicherer sind sich Meteorologen hinsichtlich des Klimawandels, dass die Temperaturen ansteigen werden. Deshalb nimmt die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit auf. Größere Niederschlagsmengen entstehen. Aufgrund der globalen Erwärmung verändert sich die großskalige Zirkulation. Dieser Effekt wirkt sich beispielsweise auf Nord-Wetterlagen aus. Das Wettergeschehen wird in hohem Maße durch Temperaturunterschiede zwischen den Tropen und dem Nordpol beeinflusst. Und je größer die Temperaturunterschiede sind, desto dynamischer bewegen sich atlantische Hoch- und Tiefdruckgebiete über uns. Aufgrund der Klimaänderungen steigen die Temperaturen am Nordpol stärker als in mittleren Breitengraden. Dieser Effekt bewirkt ein Abschmelzen der Polkappen. Dadurch verringern sich die Temperaturunterschiede. Deshalb sind die Wetterextreme laut Wetterforschern plausibel erklärbar. Die Extreme werden ansteigen – ob trocken, feucht, warm oder kalt.